Kolonialisierung & Privatisierung

Die historische Realität der Kolonialisierung Nordamerikas erzählt eine andere Geschichte als der Gründungsmythos der USA wie die Ankunft der Pilgrim Fathers oder dem Pocahontas-Mythos1 und zahlreicher Hollywood-Produktionen wie z.B. der Western Das war der wilde Westen oder Spiel mir das Lied vom Tod über die Besiedlung Nordamerika, aber auch als die gängige Geschichtsauffassung.

Der amerikanische staatliche Feiertag Thanksgiving geht auf die Landung der Pilgrim Fathers 1620 in Neuengland zurück (siehe hierzu auch: Macht der Geschichten – Geschichten der Macht, S. 78 ). Die Pilgrim Fathers waren aber nicht die ersten englischen Siedler und – viel entscheidender – sie kamen bereits mit einem Landpatent der Virginia Company of London im Gepäck an. Die Virginia Company hatte sich 1606 gegründet und sich die Landrechte in den Kolonien mit einer Urkunde von James I., König von England gesichert. Dies war der Beginn der britischen Kolonialisierung Amerikas.

Entgegen der Vorstellung der Besiedlung des Landes durch mutige Pioniere, Abenteurer, Glücksritter und Freiheit für politisch oder wegen ihres Glaubens Verfolgter, war die Kolonisierung Nordamerikas von Anfang an ein kapitalistisches Großprojekt auf der Grundlage von Ausbeutung in Form von begrenzter Leibeigenschaft. Die gängige Geschichtserzählung trennt hier oft zwischen Militär und Privatpersonen anstatt Kapital und Politik zusammen zudenken.

Auch wenn die ersten Kolonist*innen zu Beginn um ihr nacktes Überleben kämpfen mussten, war ihre wichtigste Aufgabe, Profite für die Anteilseigner der Virginia Company of London zu erwirtschaften. Sie waren Untertanen der Virginia Company und mussten den Befehlen der von der Kompanie eingesetzten Aufseher gehorchen.

Das Projekt der Kolonialisierung erwies sich zunächst als Flop. Nur wenige Siedler hatten die Hungersnot von 1609/1610 überlebt. Darauf hin sagten viele Anteilseigner die Zahlungen für ihre Anteile ab. Die Kompanie war hoch verschuldet. 

Sie startete eine massive Werbekampagne mit verlockenden Plakaten und veröffentlichte Artikel, um Menschen zu überzeugen. Anstelle von sofortigen Gewinnen und riesigen Profiten versprach die Kompanie den Menschen Wohlstand für die gesamte Nation und Macht für England. 

(Obwohl der Wohlstand der Nation eine Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg der einzelnen ist, ist er dennoch keine Garantie.)

Häufig wird erzählt, dass der wirtschaftliche Erfolg der Kolonien auf der transatlantischen Versklavung beruht. Ein Verständnis der Ankunft der ersten Afrikaner*innen in Jamestown als Beginn der Sklaverei in Nordamerika ist nicht falsch, aber das Ausblenden der historischen Realität der importierten begrenzten Leibeigenschaft aus den europäischen „Mutterländern“ macht die Ausbeutung der eigenen Bevölkerung, die sich durch den Prozess der Einhegung (Enclosure) in England zunehmend verschärfte, unsichtbar.

Einhegung bezeichnet die Privatisierung der Allmenderechte. Vorher gemeinschaftlich genutztes Land wurde in Privateigentum der Großgrundbesitzer (ehemalige Lehnsherren der feudalen Gesellschaftsordnung) umgewandelt. Viele Bewohner wurden mit Gewalt vertrieben und mussten in den Fabriken und den Bergwerken für Hungerlöhne arbeiten. Ganze Dorfgemeinschaften wurden nach Australien und Nordamerika zwangsdeportiert oder zur Emigration gezwungen. Der Prozess der Einhegung beschleunigte sich im 17. Jahrhundert und wird auch die „Revolution der Reichen gegen die Armen“ oder „innere Kolonisation“ genannt. Karl Marx nannte es die „Ursprüngliche Akkumulation“. 

Allmende meint nicht staatliches Eigentum im Gegensatz zu Privateigentum, sondern eine Form der Gemeinwirtschaft mit unterschiedlichen Nutzungs- und Eigentumsformen für die beteiligten Personen.

„Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört«.“

Jean-Jacques Rousseau

  1. Der Mythos erzählt die Geschichte der angeblich friedlichen Besiedlung Nordamerikas durch die Europäer. Die romantische Liebe der Tochter des Stammesführers zu dem Fremden rechtfertigt die Kolonisation. Mit der Heirat seien auch die traditionellen Besitzansprüche der Indigenen an die Europäer abgetreten worden. ↩︎