In den 60er Jahren leitete eine Forschungsgruppe aus Psychiater*innen, Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto, Kalifornien, in der Psychologie einen Paradigmenwechsel ein – von einer auf das Individuum ausgerichteten, linear-kausalen hin zu einer systemischen Psychologie. Die Systemtheorie beruht auf der Grundannahme des Radikalen Konstruktivismus, dass es keine objektive Wahrheit gibt. Andere Therapieformen werden deswegen nicht als falsch angesehen, vielmehr orientiert sich die Systemtheorie, daran was für die Patient*innen nützlich und hilfreich ist.
Der prominenteste Vertreter der Palo-Alto-Gruppe ist hier zu Lande der Philosoph, Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick mit seinen Büchern „Anleitung zum Unglücklichsein“ und „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“. Die humorvollen, leicht verständlichen Beispiele, die Paul Watzlawick erzählt, sind teils legendär wie die Geschichte mit dem Hammer, in der ein Mann seine Gedanken über den Nachbarn mit der Wirklichkeit verwechselt, wodurch eine neue Wirklichkeit entsteht.
Auch der Grundsatz der Kommunikationstheorie „Man kann nicht nicht kommunizieren“ stammt von Paul Watzlawick. Viele der entwickelten Theorien über Störungen und Lösungen der menschliche Kommunikation wie Double Bind, selbsterfüllende Prophezeiung, Reframing (Umdeutung), Paradoxe Intervention etc. haben sich bewährt und lassen sich auch auf gesellschaftliche Probleme anwenden.
Ein von den Forscher*innen identifiziertes Problem liegt in dem Umstand, dass die versuchte Lösung nicht nur nicht das Problem löst, sondern es sogar erhält. Eine Lösung, die in der Vergangenheit funktioniert hat, funktioniert auf Grund veränderter Umweltbedingungen nicht mehr. Ganze Gattungen sind ausgestorben, weil sie sich nicht an verändernde Umweltbedingungen anpassen konnten. Das Phänomen, an einmal gefundenen Lösungen stur fest zu halten, gibt es bei Mensch und Tier.
Wanderameisen folgen der Pheromonspur ihrer Vorgänger*innen. Schließt sich die Vorhut aus irgendwelchen zufälligen Gründen der Nachhut an, gelangen die Ameisen in eine Todesspirale, auch Ameisenmühle genannt, in der sie so lange im Kreis laufen bis sie vor Erschöpfung sterben.
Das sich dramatisch verändernde Klima in einer Welt jenseits von 1,5° C erfordert eine Anpassung der „Lebensgewohnheiten“ der Weißen Moderne. Das Beibehalten von Lösungsversuchen aus der Vergangenheit wie der Versuch, Probleme, die wegen der Systemimmanent Gier nach Geld entstanden sind, mit Geld zu lösen1, bringt uns in immer größer werdende Schwierigkeiten. Wir tun dasselbe und erwarten andere Ergebnisse, anstatt unsere Prämisse, unsere Grundannahme über das System in Frage zu stellen.
Die Art und Weise, wie wir auf die Krise reagieren, ist Teil der Krise.
Bayo Akomolafe
Ein Grund, warum noch keine wirksamen Veränderungen passieren, liegt in der Selbstauferlegten Beschränkung. Das 9-Punkte-Problem illustriert, wie Menschen an einer sich selbst auferlegten Beschränkung scheitern, obwohl die Einschränkung nicht als Bedingung für die Lösung vorgegeben ist. Neun im Quadrat angeordnete Punkte sollen mit vier Strichen verbunden werden, ohne den Stift abzusetzen. Die Lösung ist erst möglich, wenn die Einschränkung, innerhalb des Quadrates zu bleiben, aufgegeben wird und über den durch das Quadrat vorgegebenen Rahmen hinaus gezeichnet wird.
In den 1980er Jahren – zur Zeit des kalten Krieges zwischen den Supermächten USA und UdSSR spricht Paul Watzlawick in seinen Vorträgen und Interviews auch über die Probleme der Gesellschaft wie Ungerechtigkeit und Umweltverschmutzung, für die es seiner Meinung nach keine Lösungen gibt, außer an der Demokratie fest zu halten. Er begründet, dass totalitäre Regime mit der Heilslehre, einen Idealzustand von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit herstellen zu wollen, die Anwendung von Gewalt rechtfertigen. Die Anwendung von Gewalt in Demokratien wird damit gerechtfertigt, dass sie dem Menschen Schutz vor dem Menschen gibt. Die Legitimationserzählungen des Kommunismus, Sozialismus, Marxismus-Leninismus und des Nationalsozialismus werden als Weltanschauungen gesehen, die für sich in Anspruch nehmen, die objektive Wahrheit zu sein, aber letztendlich eine Ideologie sind. Liberalismus2 wird nicht als Ideologie gesehen, obwohl der Liberalismus auf der Weltanschauung vom „Naturzustandes“ des Menschen als ein egoistischer „Krieg aller gegen alle“ (bellum omnium contra omnes, Thomas Hobbes) um Besitz und Ansehen beruht.
Auch Bayo Akomolafe, seines Zeichens ebenfalls Psychologe und Philosoph aus Nigeria, verwendet in seinem Werk die Metapher der Ameisenmühle für Lösungen, die die Probleme verstärken anstatt sie zu lösen. Um aus der Gefangenschaft des Teufelskreis der ewigen Wiederholungen auszubrechen, bedarf es ungewöhnlicher Methoden wie sie auch in der Kommunikationstherapie angewendete werden, z.B. die Paradoxe Intervention. In der Tradition der Yoruba und anderer indigener Völker wird mit dem Archetyp des Trickser gearbeitet, einer mythologischen Gestalt, die die Ordnung durcheinander bringt. Die anthropozentrische Welt- und Lebensanschauung einer rational erklärbaren, messbaren, zu kontrollierenden, zu beherrschenden, von einander getrennten, fragmentierten Welt der Gegensätze bildet die Schranken, aus denen es mental auszubrechen gilt. Rationalität ist nicht falsch, sondern besteht neben anderen Arten des Wahrnehmens,, Wissens und Seins.
Think outside the box!