Ungerechte Gerechtigkeit

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Früher war es der Gutsherrschaft erlaubt ihr Vieh auf fremdem Weideland weiden zu lassen. Dieses Recht nannte sich Weidegerechtigkeit (oder auch Gerechtsame). Die Bauern dürften es nicht als gerecht empfunden haben, dass ihr Vieh von der Weide ausgeschlossen war. Die Gutsherrschaft wiederum wunderte sich über die Unzufriedenheit der Bauern, war doch ihr Handeln durch das Gesetzt gerechtfertigt.

Eine Erlaubnis durch staatliche Institutionen (König, Behörden etc.) zur Nutzung fremden Eigentums widerspricht dem Verständnis der heutigen Rechtsprechung, denn Eigentum beinhaltet, nach eigenem Belieben mit der Sache zu verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen (§ 903 BGB) .

Das bedeutet auch, andere von dem Gebrauch von Dingen auszuschließen, die diese notwendig brauchen z.B. eine Wohnung. Eigentümer*innen können daraus Kapital schlagen, indem sie für die Nutzung eine Gegenleistung verlangen. Eigentümer*innen sind Besitzlosen, die nichts haben außer ihrer Arbeitskraft, gegenüber im Vorteil. Das Gesetz ist nur für Eigentümer*innen gerecht so wie die Weidegerechtigkeit nur für die Gutsherr*innen.

Dir ist alles anvertraut, aber du bist zu nichts berechtigt.

Sufi-Sprichwort

Die englische Bezeichnungen für Gerechtigkeit (Gerechtsame) im angelsächsischen Recht ist estover oder bote. Estover leitet sich von dem Wort für „das Notwendige“ ab und bote bedeutet „Hilfe, Erleichterung, Abhilfe; Entschädigung für eine Verletzung oder ein Unrecht; (Friedens-)Angebot, Belohnung, Wiedergutmachung, Sühne, Buße, Reue“. Bevor „Gerechtigkeit“ zum Vorrecht für höhergestellten Machtinhaber wurde, handelte es sich hierbei um Zuwendungen für Menschen, die es brauchten. Die Grundidee dieser Regelungen war geprägt von Fürsorge.

Der Wechsel von einem Gerechtigkeitsparadigma ins andere ist nie rückgängig gemacht worden. Seitdem bedeutet der Kampf um Gerechtigkeit, den Zugang zu Privilegien auf immer größere Teile der Bevölkerung auszuweiten, von Adligen auf Bürger, von Männern auf Frauen, von weißen auf nicht-weiße Menschen, von Heteronormativen auf Queere. Letztendlich beinhaltet aber das Konzept von Privilegien, dass es immer Menschen gibt, die keine haben. Wo es Vorrechte gibt, gibt es auch Menschen, die davon ausgeschlossen sind. Gerechtigkeit im Sinne von Gleichheit kann es nur geben, wenn es keine Privilegien mehr gibt. Im Kampf um Privilegien zwischen Privilegierten und Nicht-Privilegierten gibt es noch ein Drittes, eine Instanz, die Privilegien gewährt oder auch entziehen kann und die damit der Ursprung der Ungerechtigkeit ist, die selbe Instanz, die auch das Recht des Privateigentum durchsetzt.