Das Wunder der Sklaverei

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Die Pyramiden zählen nicht zuletzt zu den Weltwundern, weil der Bau ein ungelöstes Rätsel darstellt. Die Forschung interessiert sich sowohl für die Technik wie auch den Einsatz von Arbeitskräften. Herodot, der erste Geschichtsschreiber, berichtet von 100.000 Sklaven. Er war selber kein Zeitzeuge. Meistens erzählt die Geschichtsforschung die Geschichte von Feldherren und Königen. In jüngster Zeit wurden bei Ausgrabungen eine Arbeitersiedlung und -gräber entdeckt, die die Geschichte der Unterdrückten erzählen: angeblich handelt es sich gar nicht um Sklaven, sondern um freie, geachtete Menschen. 

Anständige Behausungen, üppige Mahlzeiten und Begräbnisse mit Grabbeigaben stehen für die Ägyptologen Mark Lehner und Zahi Hawass im Widerspruch zu ihrer Definition von Sklaverei, die möglicher Weise von der grausamen Verschleppung und Versklavung schwarzer Menschen von dem afrikanischen Kontinent in die sogenannte neue Welt und von menschenunwürdiger Armut, wie wir sie in der Neuzeit erleben, geprägt ist, die aber in Vorzeiten nicht in dem Ausmass bekannt war.

Die Kultur der alten Ägypter ist geprägt von einer religiösen Ideologie. Die Pharaonen herrschten als Gott oder Stellvertreter eines Gottes. Das Königsamts wurde als von dem Sonnengott Re gegeben angesehen und konnte nicht in Frage gestellt werden. 

Mark Lehner vergleicht den Bau der Pyramiden mit dem Bau einer Scheune bei den Amisch. In dieser religiösen Glaubensgemeinschaft helfen sich die Männer untereinander beim Bauen ihrer Häuser. Übertragen auf den Bau der Pyramiden würde das bedeuten, dass auch der Pharao beim Bau der Pyramide hilft, und umgekehrt jeder Arbeiter seine eigene Pyramide bekommt. 

Beide Kulturen haben eine religiöse Weltsicht, unterscheiden sich aber inhaltlich fundamental von einander: die Amisch betrachten einander als gleichwertige Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die Ägypter akzeptieren Ausbeutung aus Angst vor übermenschlichen Gottheiten.

Zu guter Letzt ist der Bau einer Scheune ein nützliche Unternehmung, da eine Scheune dem Erhalt des Leben dient. Ein Grabmal dagegen ergibt nur innerhalb einer Ideologie, die auf das Jenseits ausgerichtet ist, einen Sinn und dient eher einem Todeskult.

Hoch angesehene Wissenschaftler sind nicht in der Lage, diese Unterschiede zu erkennen? Aber sie können diesen Irrsinn als Autoritäten mit Deutungshoheit (oder als Hohepriester ihrer Kaste) verbreiten. Historiker*innen tragen dazu bei, die Legitimationserzählungen der Herrschenden zu reproduzieren (Geschichte wird vom Sieger erzählt). Insignien der Macht, wie prunkvolle Bauwerke und andere Kunstgegenstände werden als hoch entwickelte Kultur interpretiert, gleichzeitig zeugen sie jedoch von Gewalt in Form von Krieg und Sklaverei.

In dieser Geschichte über den Bau der Pyramiden wird die brutale Form der Ausbeutung menschlicher Arbeit durch die Erzählung „wer seiner Unterdrückung zustimmt, ist frei“ legitimiert. (hier und hier nachzulesen)

Das verherrlichende Narrativ der Pyramiden als Weltwunder verschleiert die Brutalität und die Gewalt eines auf Herrschaft beruhenden Gesellschaftssystems.